Entwicklung innerstädtischer Kundenfrequenzen in Zeiten von Corona
Eine Analyse der von Hystreet.com per Laserscanner gezählten Menschen in 1a-Lagen von acht deutschen Metropolen zeigt den starken Rückgang der Frequenzen gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019. Die stärkste Abnahme auf 25% der Zahlen des Vorjahres war mit dem Verbot von Großveranstaltungen und den angekündigten Schulschließungen in den Kalenderwochen (KW) 11/12 verbunden und erfolgte damit schon vor der umfassenden Beschränkung sozialer Kontakte ab dem 22.3.* In den KW 13 bis 16 erreichten die innerstädtischen Frequenzen mit nur noch 10-15% des Vorjahresniveaus ihren Tiefpunkt. Mit den Lockerungen ab dem 20.4. stiegen die Passantenzahlen wieder an. Dies geschah in mehreren Etappen: In KW 17/18 lag der Wert bei ca. 34% des Vorjahresniveaus, in KW 19/20 bei ca. 53%. Der Durchschnittswert der betrachteten Lagen stieg bis KW 22 auf ca. 67% des Vorjahresniveaus an.
Die Auswertung zeigt auch die regionalen Unterschiede. Der Abfall der Frequenzen kam in München (Neuhauser Str.) früher und war stärker als in allen anderen betrachteten Städten und blieb auch in der Lockerungsphase zumeist deutlich unter dem Niveau der anderen Städte.
Die Daten von Hystreet.com bieten eine allgemein zugängliche, tagesaktuelle und kostenfreie Möglichkeit zur Analyse von stundengenauen Frequenzverläufen. Es stehen digital abrufbare Daten zu ca. 125 Standorten zur Verfügung. Die Daten bieten jeweils eine punktuelle Messung an zentral positionierten Orten (i.d.R. Fußgängerzonen) innerhalb der Innenstädte von Oberzentren, vereinzelt auch Mittelzentren. Nicht abgedeckt sind Einzelhandelslagen außerhalb der Innenstädte beispielsweise in Stadtteillagen, Fachmarktzentren und solitären Lagen sowie in fast allen Mittel- und Grundzentren.
Für flächendeckende Analysen außerhalb der Innenstädte bietet sich mit dem Tracking von Smartphone-Apps ein anderer Ansatz zur Frequenzmessung an. Die Datenerhebung erfolgt über Mobilfunk-Apps die beim Ausspielen von Werbung eine Lokalisierung über GPS-Signale erlauben. Die Apps kommen aus vielen unterschiedlichen Bereichen (Fitness, Navigation, Soziale Netzwerke, Wetter, News, Games & Entertainment) und bieten somit eine breite und repräsentative Abdeckung der Bevölkerung. Die Auswertung und Nutzung der Daten erfolgt anonymisiert und DSGVO-konform in aggregierter Form auf Ebenen von Rastern oder Straßensegmenten. Allein für 2019 stehen 20 Mrd. Datenpunkte von 74 Mio. Devices zur Verfügung. Darin enthalten sind auch ausländische Touristen, Geschäftsreisende und Transits. Jeder Datenpunkt hat einen Zeitstempel, der eine zeitraumbezogene Auswertung nach Wochentagen oder Stunden erlaubt.
Trotz der großen Anzahl an Devices bietet diese Methode keine Vollabdeckung und bedarf einer Hochrechnung der Messung auf die Grundgesamtheit. Aufgrund der Masse an Daten ist diese mit einer deutlich höheren Genauigkeit möglich als bei allen vergleichbaren Ansätzen am Markt.
Zu jedem Device wurde die sogenannte Homezone und die Workzone ermittelt. Die Homezone ist dort „wo das Handy schläft“ bzw. die letzten Signale vor der nächtlichen Ruhepause gesendet hat. Ähnlich ist das Vorgehen bei der Ermittlung der Workzone. Hier wird ein zusätzlicher Vorteil gegenüber den Hystreet-Daten deutlich: die Trennung von Anwohnern (haben ihre Homezone in unmittelbarer Nachbarschaft der Messung), Beschäftigten (Workzone in unmittelbarer Nachbarschaft der Messung) und tatsächlichen Einkaufspassanten.
Aus den Homezones kann eine Besucherdichte – beispielsweise auf MikroPLZ – ermittelt werden, die ein genaues Abbild des erreichten Einzugsgebiets ermöglicht. Diese Methode zeigt sich der häufig verwendeten Abgrenzung von Fahrzeitpolygonen deutlich überlegen, da nur die tatsächlichen Besucher des Standorts gemessen werden. MBM hat deutschlandweit über 10.000 Einzelhandelszentren unterschiedlichster Größe identifiziert, für die exakte Einzugsgebiete berechnet werden können.
Die Homezones erlauben auch ein Matching mit den auf der Gebäudeebene vorliegenden microgeographischen Merkmalen von MBM wie z.B. Informationen zur Soziodemographie oder den Sinus Milieus. Damit kann jeder Händler – auch ohne Kundenkarte – die Charakteristika seiner tatsächlichen Kunden kennenlernen und Sortimente darauf ausrichten.
Da die Bewegungsdaten bereits seit 2018 zur Verfügung stehen, kann die Anzahl und Struktur der Besucher eines Shops, Shopping-Centers oder Zentrums auch rückwirkend gemessen werden. Für Handel, Kommunen und Wissenschaft bieten sich damit Möglichkeiten die Auswirkungen von Covid19 vor, während und nach der Corona-Krise bzw. zu verschiedenen Zeiträumen der Pandemie zu analysieren.
Weitere Anwendungsgebiete der Bewegungsdaten sollen stichpunktartig beschrieben werden:
- Wettbewerbsanalysen zeigen die Loyalität der Kunden: wieviel % sind treue Kunden bzw. Switcher?
- Im Bereich Mediaplanung können die Streugebiete der Handzettel und die Platzierung von Out-of-Home-Werbung optimiert werden
- Für die Expansion lassen sich aufgrund der Besucherstrukturen die White-Spots mit dem größten Umsatzpotenzial bestimmen
- bei der Projektentwicklung können ex-Post die Auswirkungen einer Ansiedlung (z.B. Discounter) auf die Besucherströme im zentralen Versorgungsbereich gemessen werden
*Anmerkung: Interessant ist auch, dass die Frequenzen bereits im Februar 10 bis 22% unter den Vorjahreswerten lagen mit sinkender Tendenz. Hier liegt die Vermutung nahe und wäre detaillierter zu untersuchen, inwiefern dies bereits mit einer Corona-bedingten persönlichen Reduzierung der Innenstadtbesuche bzw. den ausbleibenden Touristen aus Asien zu tun hatte.
Andreas Strade
E-Mail: a.strade@mb-micromarketing.de